Hate Speech und Fake News existieren – das ist Fakt. Insbesondere im Umfeld von Wahlen, Klimathemen, der Covid-19-Pandemie oder der Gender-Debatte sind Hass und Hetze in sozialen Netzwerken, aber auch in etablierten Medien fast an der Tagesordnung. Und sie werden zu einer Gefahr nicht nur für werbungtreibende Unternehmen und die gesamte Werbeindustrie, sondern auch für die reale Welt. Stefanie Tannrath, CEO von UM Deutschland, erklärt in ihrem Gastbeitrag, wieso es höchste Zeit ist, dass die Branche Verantwortung übernimmt.

Die Corona-Pandemie hat die Thematik um Fake News und Hate Speech auch in Deutschland auf ein neues Level gehoben. In den ersten drei Wochen der Ausbreitung von Covid-19 kursierten bereits zwei Millionen Tweets mit Verschwörungstheorien im Netz: über die Herkunft des Virus, die Maskenpflicht, den Impfstoff. Wir können hier von einer regelrechten Infodemie sprechen, die nach Überzeugung von Forscher:innen die Eindämmung des Virus deutlich erschwert hat.

Fake News und Hate Speech haben ihren Ursprung oft in den Social-Media-Plattformen sowie der Fülle von neu gegründeten Nachrichten-Websites, Newslettern und Plattformen einzelner Autor:innen mit uneinheitlicher redaktioneller Qualität und Standards, die alle von Algorithmen der sozialen Plattformen unterstützt und durch Werbung finanziert werden. Betrachtet man dies im Zusammenhang mit Untersuchungen, die zeigen, dass mehr junge Erwachsene ihre Nachrichten aus sozialen Netzwerken beziehen als von den etablierten Medien, offenbart sich das Problem vor allem im Hinblick auf Falschinformationen. Denn in Feed-basierten Umgebungen ist es oft schwierig, Fakten von Fiktion oder Satire von Lügen und Propaganda zu unterscheiden. Das führt zum unkontrollierten Teilen von Falschnachrichten, die sich dann in rasantem Tempo verbreiten. Wie aktuelle Studien zeigen, wissen zwar viele User:innen, dass man auf Social Media keine Falschinformationen teilen oder liken sollte. Viele von ihnen tun es trotzdem, weil sie diese einfach nicht erkennen. Bisherige Kennzeichnungsstrategien von Social-Media-Plattformen zu Desinformationen sind dabei noch nicht wirksam genug.

Fake News und Hate Speech sind aber kein isoliertes Social-Media-Problem, sie treten auch in etablierteren Medien auf. Das zeigte sich zum Beispiel in der #GrünerMist-Kampage im Vorfeld der Bundestagswahl. Betrachten müssen wir also auch die Rolle, die klassische Medien bei der Verbreitung von Fake News spielen. So nehmen sie nicht selten Falschinformationen auf und berichten darüber ohne einen Hinweis auf Desinformation. Damit erreichen nur die Urheber:innen der Falschmeldungen ihr Ziel: Zweifel zu säen und Verwirrung zu stiften.

Schlimmer ist es, wenn Medien selbst Stimmungsmache betreiben, anstatt sachlich und informativ zu berichten. Ein Beispiel: Auf dem ITS Verkehrskongress im Oktober forderte Hamburgs zweite Bürgermeisterin und Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank, Verkehrsmittel nicht nur auf Männerkörper zu normen, sondern Sitze, Sicherheitsgurte, Airbags und auch Crashtest-Dummys den weiblichen Proportionen anzupassen. Daraufhin titelte unter anderem ein großes Medium “Vize-Bürgermeisterin will Crashtest-Dummys gendern” – und machte damit eine eigentlich legitime Forderung zu einem Aufregerthema.

Ob nun klassisches Medium oder Social-Media-Plattform – Fake News und Hate Speech können für Marken zu einem großen Problem werden. Deshalb sollten Agenturen, Vermarkter, aber eben auch Marken einerseits eine klare Haltung formulieren und andererseits Wege für einen effektiven Umgang definieren – nicht erst, wenn ihr Unternehmen oder ihre Marke betroffen beziehungsweise in eine Verschwörungsgeschichte oder in Hassrede verwoben ist.

Und wenn wir ehrlich sind, hat Werbung ebenfalls ihren eigenen Anteil an der Verbreitung von Fake News und Hate Speech, wenn sie beides direkt oder indirekt finanziert: durch Werbung auf Plattformen, die beides ermöglichen, oder durch Weitergabe der Werbeeinnahmen an die Vertreiber solcher Nachrichten. Es geht hier nicht um eine pauschale Verurteilung – aber schon darum, anzuerkennen, dass wir alle in der Werbewertschöpfungskette Teil des Problems sind – und daher ist es auch an uns, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Wir dürfen nicht auf die Politik warten, die die sozialen Medien noch immer nicht wirklich verstanden hat und überfordert ist, den Einfluss einzuschätzen und damit auch zu verstehen, wie populistische Kräfte das ausnutzen.

Ganz konkret gibt es hier für mich 4 Ansatzpunkte:

Transparenz: Nur, wenn wir uns über die Ausmaße und die Beschaffenheit des Problems bewusst sind, können wir auch etwas verändern. Wir haben beispielsweise mit dem Media Responsibility Index und den Grundsätzen zur Medienverantwortung KPIs und Messinstrumente geschaffen, die für uns einen entscheidenden Transparenz-Beitrag leisten. Aber die Transparenz bedeutet auch, offen und konstruktiv über die Themen zu sprechen.

Sensibilisierung: Dieser Text hier soll in erster Linie sensibilisieren. Sensibilisierung bedeutet aber auch, dass wir unsere Mitarbeitenden entsprechend schulen und unsere Medienkompetenz kontinuierlich weiterentwickeln. Dies gilt für Agenturen und Unternehmen, aber auch für Journalist:innen und Medienschaffende sowie für Behörden, die an vielen Stellen mit der Strafverfolgung völlig überfordert sind. Auch hier können wir uns fragen: Wie können wir mit unserem Wissen unterstützen?

Verantwortung: Es ist an der Zeit, dass wir alle – alle Beteiligten der Werbe-Wertschöpfungskette – Verantwortung übernehmen und gemeinsam agieren. Die Verantwortung für markenkonforme Werbeauslieferung allein beim Publisher zu suchen, wird das Problem nicht lösen. Werbungtreibende sollten die Verantwortung von Medien und Plattformen regelmäßig und dauerhaft einfordern und die Bereitstellung von Qualitätsmedien und Qualitätsumfeldern, eine erhöhte Transparenz und die Messbarkeit von Entwicklungen fördern. Werbungtreibende können und sollten ihren Beitrag leisten und Haltung zeigen – das schätzen auch die Konsument:innen, wie Studien zeigen. Gerade in Zeiten der Ungewissheit oder sozialer Brüche müssen Marken mit gutem Beispiel vorangehen und einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausüben.

Kontinuität: Wir alle – Agenturen, Medien und Vermarkter genauso wie werbungtreibende Unternehmen – müssen Fake News und Hate Speech dauerhaft präsent haben und kontinuierlich miteinander in den Dialog treten. Wir haben die Macht, Einfluss zu nehmen, und diese Macht sollten wir nutzen. Wir dürfen Hass und Populismus keinen Raum geben, sondern müssen Haltung einnehmen und uns dagegenstellen. Dabei müssen wir über die Grenzen unseres eigenen Wirkbereichs hinwegsehen und gemeinsam an einer wirklich meinungsfreien Welt arbeiten!